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St. Ingbert. Hobby-Historiker Klaus Zimmer untersucht Flugzeugabstürze des Zweiten Weltkriegs. Hat er die Umstände geklärt und Namen ermittelt, versucht er, Kontakt zwischen den ehemaligen Feinden herzustellen.
Wenn die zehn prall gefüllten Ordner im Arbeitszimmer von Klaus Zimmer aus Hassel reden könnten, sie würden viel erzählen. Der 49-jährige Oberstudienrat untersucht Flugzeugabstürze des Zweiten Weltkrieges. 225 Abstürze, die im Saarland passiert sind, hat er ganz genau unter die Lupe genommen. Dazu noch etwa 80 aus Rheinland-Pfalz und noch einmal zehn aus Lothringen. Die Ergebnisse seiner Recherchen stecken hinter den schwarzen Aktendeckeln. „Ziel ist es, genau zu untersuchen, was damals passierte", erzählt Zimmer. Immer versucht der Hobby-Historiker dabei, die Namen der Personen herauszufinden, die beteiligt waren.
Wenn das gelungen ist, nimmt er Kontakt zu den Menschen auf und versucht sie zusammenzuführen. Ein Beispiel: Ignatius Merz aus Bebelsheim nahm 1944 einen amerikanischen Soldaten gefangen, Der war mit seinem Fallschirm gerade aus einem von der deutschen Flugabwehr abgeschossenen Flugzeug abgesprungen. „Ganz wichtig ist es, die Absturzzeit einzugrenzen", berichtet Klaus Zimmer, sonst stecke man gleich zu Beginn der Nachforschungen in einer Sackgasse. Nächster Schritt ist die Suche in Gemeindearchiven, Heimatbüchern, in der landeskundlichen Abteilung der Stadtbücherei Saarbrücken oder im Landesarchiv. „Das ist oft eine zeitaufwändige und sehr mühsame Recherche", meint Zimmer. „Aber spannend." Die Suche gestaltet sich in deutschen Archiven oft sehr schwierig. „Weil die Nationalsozialisten viele Unterlagen vernichteten", nennt Zimmer den Grund. Deshalb sucht der Oberstudienrat für Englisch am Abendgymnasium Saarbrücken fast immer auch in Amerika. „Die Amerikaner haben jeden einzelnen ihrer Verluste haargenau dokumentiert. Aus amerikanischen Archiven bekomme ich immer eine prompte und schnelle Antwort." So fand Zimmer heraus, dass es sich bei dem Gefangenen aus Bebelsheim um John Sacks aus Ohio handelt.
Klaus Zimmer setzte sich mit Sacks in Verbindung. Es kam zu einem Treffen des ehemaligen Gefangenen mit dem Deutschen aus Bebelsheim. „Ein bewegendes Treffen", berichtet Alwine Merz, die Ehefrau des heute 81-jährigen Ignatius Merz. „John kam vor etwa fünf Jahren mit seiner Frau und seinem Cousin aus Ohio zu uns. Er erkannte sogar den Platz wieder, an dem ihn mein Mann damals gefangen nahm", erzählt Alwine Merz. Im Gepäck hatte Sacks ein Video von einem Fernsehauftritt in Ohio. Dort berichtete der Veteran unter Tränen von den Vorkommnissen aus 1944 und seiner bevorstehenden Begegnung mit Merz. „Die Amerikaner beachten meine Arbeit sehr", weiß Klaus Zimmer und lobt noch einmal die Unterstützung aus den USA.
„Es ist das Interesse der USA, dass solche Kontakte zu Stande kommen", so Zimmer. Oft helfen Heimatvereine auch finanziell mit, dass es zu den Begegnungen der ehemaligen Feinde kommt. So haben die Heimatfreunde Bebelsheim mit dazu beigetragen, dass es zum Treffen von Ignatius Merz und John Sacks gekommen ist. Noch heute haben die amerikanische Familie Sacks und die deutsche Familie Merz regen Kontakt. „John Sacks ist ein ganz liebenswerter Mensch", beschreibt Alwine Merz. Schon fünf Mal hat sich Klaus Zimmer in den USA mit amerikanischen und deutschen Veteranen getroffen.
Zahlreiche Treffen fanden auch in Deutschland statt. Die Begegnungen sind stets mit einer Gedenkfeier am Absturzort verbunden. Kontakte bleiben. Mit einigen ehemaligen amerikanischen Soldaten oder deren Nachkommen hat sich Zimmer schon mehrfach getroffen. Freundschaften entstanden. Zimmer hielt in den USA schon zwei Vorträge über seine Forschungen. Einen davon in Gettysburg. „Dort wohnte ich beim Sohn eines Funkers, dessen Maschine bei Fürth im Ostertal abgeschossen wurde. Beim Absturz war der Vater ums Leben gekommen." [Anm.: Er wurde von deutschen Soldaten erschossen.] So dokumentiere die Nachkriegsgeneration die Versöhnung zwischen Amerikanern und Deutschen.
Ergreifend auch, als Klaus Zimmer einer über 97-jährigen amerikanischen Mutter mitteilte, wie ihr Sohn ums Leben gekommen war. „Jetzt kann ich endlich in Ruhe sterben", sagte sie nach Erhalt der Nachricht. [Anm.: Sie ist einige Monate danach tatsächlich gestorben.]
Klaus Zimmer kann viele Geschichten dieser oder ähnlicher Art erzählen. Zimmer wird weiter forschen, weiter Flugzeugabstürze untersuchen. Noch hat er nicht alle Geheimnisse gelüftet, die hinter den schwarzen Aktendeckeln seiner zehn Ordner versteckt sind. Der 49-jährige ist beliebter Gesprächspartner für Bürgermeister, Ortsvorsteher und Heimatvereine. Zimmer hat schon viele seiner Untersuchungsergebnisse in den verschiedensten Gemeindeblättern oder Ortschroniken veröffentlicht. Dabei stellt Klaus Zimmer immer wieder fest, dass nicht nur ältere Menschen an seinen Entdeckungen interessiert sind. „Auch viele jüngere wollen wissen, was damals passiert ist", sagt der Geschichtsforscher.
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